Leben und Arbeiten auf dem Meer

Leben und Arbeiten auf dem Meer?

In der Welt von Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer löst eine eingefangene „schwimmende Insel“ das „Überbevölkerungsproblem“ von Lummerland. Diese Fantasie kann schon bald Wirklichkeit werden.

Bislang ist das Leben „auf dem Meer“ nur etwas für überzeugte Seeleute, notorische Aussteiger oder Multi-Milliardäre, die sich große Yachten, eigene Inseln oder Appartements auf einer der künstlichen Inseln vor Dubai leisten können. Doch angesichts des Anwachsens der Weltbevölkerung und der damit verbundenen Sorge um den vermeintlichen Platzmangel rückt die Vision schwimmender Städte als Alternative zu den überfüllten Megastädten in den Fokus des Interesses futuristischer Stadtplaner und Architekten. Auf hoher See ist Platzmangel zumindest vorerst nicht zu erwarten.
Schwimmende Bürostädte für Millionen

Schon in nächster ZukunftDie Zukunft ist ein vielschichtiges Konzept und weitaus komplexer als gemeinhin angenommen: "die Zukunft" als vor uns liegende Zeit existiert nicht. So bietet es sich an, von der Zukunft im Plural zu sprechen. Der Begriff "Zukünfte" impliziert eine gewisse Offenheit und einen Mangel an Vorherhsehba... More könnte die Vision einer schwimmenden Stadt Realität werden, vor der Küste San Franciscos in Kalifornien. Dort entsteht ein schwimmendes Büro, in dem Platz für 1000 Unternehmer sein wird. Die Entwickler – darunter PayPal-Gründer Peter Thiel und Google-Ingenieur Patri Friedman – wollen nicht weniger als einen neuen Staat, ein Start-up-Land auf dem Wasser, gründen. 20 bis 40 Millionen Dollar veranschlagt das Seasteading-Institut, eine Nonprofit-Organisation aus San Francisco, für das erste schwimmende Büro, an dem bereits heftig gearbeitet wird und das im Herbst dieses Jahres zu Wasser gelassen werden soll.

Ein Beispiel: Das Architektur-Projekt
Ein Beispiel: Das Architektur-Projekt “Physalia: Amphibious garden cleaning european waterways / Floating laboritories, museum and forum”, (c) Vincent Callebaut Architecture vincent.callebaut.org

Wie ein Traum mutet auch das an, was das Institut schon in wenigen Jahrzehnten für möglich hält: Millionenstädte, so groß wie Hongkong, die auf dem Wasser treiben. Blue Seed, eine Ausgründung des Instituts, will noch in diesem Jahr ein schwimmendes Büro eröffnen. Auf einem ehemaligen Kreuzfahrtschiff werden Start-up-Firmen angesiedelt, die alle im IT-Bereich arbeiten und deshalb Zugang zum Silicon Valley in der Nähe San Franciscos suchen. Viele Menschen, die ihr Unternehmen gerne im Silicon Valley ansiedeln würden, bekommen keine Arbeitserlaubnis in den USA. Ein Floß in relativer Nähe – das internationale Seerecht definiert die ersten zwölf nautischen Meilen, etwa 22 Kilometer, vor der Küste als Hoheitsgebiet eines Staates – könnte Abhilfe schaffen.

Kommen nach den „Failing States“ die „Sailing States“?

Wenn man derartige Visionen weiterdenkt und mit der Gegenwart konfrontiert, zeigt sich, dass scheinbar unantastbare und unveränderbare Regulierungen unseres Lebens und unserer Welt nicht nur an ihre Grenzen stoßen, sondern sogar zu Anachronismen werden könnten, über die die Menschen in Zukunft nur noch schmunzeln werden. So stellt die Seasteading-Bewegung nicht weniger als das Konzept des Nationalstaats infrage, das Staatlichkeit, Territorium und Volk als untrennbare Elemente sieht.

Ob es tatsächlich soweit kommt, kann heute niemand wissen. Darüber aber heute schon nachzudenken, lohnt sich in jedem Fall. Denn die Schwimmstädte könnten einmal ein Geschäft werden, an denen Architekten, Ingenieure und Entwickler Millionen verdienen. Der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer hatte Recht, als er darauf hinwies, dass jeder Mensch dazu neigt, die Grenzen seiner Vision als die Grenzen der Welt anzusehen. Das, was wir wahrnehmen, auch bei wichtigen Entscheidungen im Leben oder im Beruf, oder wenn wir einen Konzern, eine Stadt oder ein Land führen, ist eben nicht die ganze Welt und die vollständige Wahrheit. Geist schafft Realität.